Du bist Mitgründerin der Kunstinitiative “antiform e.v.”. Was steckt hinter der Initiative?
Das ist eine gute Frage, die stellen wir uns manchmal selber. Ich glaube Antiform ist so, wie wir den Namen gefunden haben. Den haben wir nämlich in den Ausstellungskatalog reingetippt, weil wir uns nicht einigen konnten, wie wir uns nennen wollen. Da stand das Wort Antiform und deswegen heißen wir nun auch Antiform. Es passte insofern ganz gut, weil wir uns aus einem Kunstprojekt gegründet haben, 2012. Das hieß Endstation und wir haben hier in Königswinter ein leerstehendes Krankenhaus bespielt. Das stand kurz vorm Abriss. Aber unser Vorteil war, dass der Betreiber des Krankenhauses nicht die Stadt war, sondern der Betreiber uns gefragt hat, ob wir für dieses letzte Jahr, bevor der Abriss stattfinden sollte, das Gebäude nutzen wollen. Das haben wir auch gemacht. Wir waren am Anfang mit fünf Künstlern, nach drei Wochen waren es dann schon 50. Am Ende waren wir um die 150 Künstler, mit Musikern, Theatergruppen. Die Künstler haben eben stationsweise ihre Krankenzimmer bespielt. Wir waren ein Kern von Leuten, die das organisiert haben. Irgendwann gibt es eine Größe, da muss eine Organisation her, auch wenn wir das nicht wollten. Es war sonst aber leider nicht zu handeln. Wir hatten viel Publikum, wir hatten vier Monate geöffnet, hatten viel Presse. Es waren um die sechs bis siebentausend Besucher da. Dann haben wir gemerkt, wir sind ein Kern von Leuten, die gut miteinander arbeiten können, also haben wir uns zusammengetan. Irgendwann war also klar, dass wir einen Verein gründen, beziehungsweise haben wir gesagt, dass wir eine Initiative gründen. So ist dann Antiform entstanden. Wir sind zwar immer noch sehr klein, Leute kommen und gehen, aber der Kern ist geblieben.
Du zeichnest nicht nur, du vermittelst auch Kunst. Wie bist du dazu gekommen?
Es ist so, dass ich schon immer Spaß daran hatte, das, was ich kann, weiterzugeben. Meistens an Jugendliche, Kinder, aber auch Erwachsene. Das funktioniert gut, das merke ich auch. Irgendwann habe ich damit angefangen. Es ist so, dass jedem Künstler und jeder Künstlerin das Zeichnen und Malen total Spaß macht, aber es muss auch irgendwie finanziert werden und um sich da eben auch den Freiraum zu halten, frei arbeiten zu können, ist es auch immer nötig, sich ein berufliches Standbein zu suchen. Das war bei mir die Kunstvermittlung. Mittlerweile läuft das wirklich super gut. Ich komme da auch als Quereinsteiger ohne Kunststudium mit rein und bin in verschiedenen Museen unterwegs, mache aber auch so einiges an Projekten.
Mit welchem Material arbeitest du am liebsten?
Stifte und Papier sind mein liebstes Arbeitsmaterial. Eigentlich genauer gesagt Papier und ein Tuschestift. Ich habe so einen ArtPen. Den hat mir mal irgendein Dozent von einem Aktzeichenkurs in die Hand gedrückt. Er meinte, ich soll das mal damit probieren und irgendwie habe ich den dann nicht mehr aus der Hand gelegt. Neben dem Papier ist die Wand aber auch immer etwas Besonderes, weil sie immer eine Herausforderung ist. Die Wand hat keine Regeln. Man steht davor und fragt sich: „Was mache ich jetzt damit? Wie reagiert die? Was ist drauf?“ Ich bin definitiv keine Street-Art-Künstlerin, das sind andere Sphären. Ich gehe an den Wänden auf Spurensuche. Das heißt, ich gucke letztendlich an den Wänden, was dort geblieben ist, was vorher mal passiert ist. Mir geht es nicht um die Gestaltung der Wand im klassischen Sinne. Mir geht es eher darum, was mit der Wand ist. Es reizen mich Wände in Räumen, in denen irgendwie Leben passiert ist, was da nicht mehr stattfindet, was aber Spuren hinterlassen hat, die ich sehe, die aber in meiner Fantasie letztendlich weiterarbeiten. Bei einer Wand ist das Material auch immer unterschiedlich. Das faszinierendste Material war in diesem Krankenhaus so ein Abstellraum. Ich wollte einmal um einen Raum herumzeichnen. Das bot sich ja an. Ich hatte so einen Abstellraum wo kein Fenster drinnen war und habe gedacht „Ich nehme einen Marker und fange mal an“. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Dann habe ich ihn einfach einmal komplett mit schwarzer Chinatusche angemalt. Mit einem Dremel habe ich danach alles wieder herunter graviert. Damit habe ich eine Zeichnung einmal rundherum gestaltet. Seitdem haben mich Wände und Räume gepackt. Ich habe vorher auch schon solche Sachen gemacht, aber dieser Raum, mit dem ich so komplett alleine war, das war eine eigene Erfahrung.
Was stellen deine Motive dar?
Ich habe verschiedene Arbeiten. Wenn ich unterwegs bin und zeichne, dann halte ich wirklich viel in schnellen Zeichnungen fest. Das sind Skizzen von dem, was um mich herum passiert, von der Natur, von Menschen. Meistens sind es wirklich Menschen, das ist so ein Fokus, den ich habe. Irgendwie zieht mich das an und interessiert mich mehr, als Landschaften. Dann ist es aber so, dass es irgendwann auch ins Abstrakte geht. Dass diese Figuren sich abstrahieren. Irgendwann fing es an, dass ich nicht nur die Menschen gesehen habe, sondern auch das Umfeld, in dem sie herumgelaufen sind. Auf einmal ist mir aufgefallen, dass auf der Wand ja auch irgendwelche komischen Figuren sein könnten und so ging das immer weiter. Das ist ein bisschen wie Wolkenbilder suchen, aber bei mir findet es eben überall statt. Ich sitze jetzt hier, schaue die Wand an und denke „Oh, da könnte ich noch eine Linie setzen.“ So geht das dann immer weiter. Irgendwann fing das an. Ich habe dem keinen Widerstand geleistet und mache das jetzt immer weiter. Im Grunde ist es einfach abstrakt. Es gibt die figürlichen, abstrakten Arbeiten. Dann gibt es aber auch wiederum Arbeiten, die mehr wie Gespinste von Gedanken sind. Wenn ich anfange zu zeichnen, ist der Anfang wirklich ein reines, intuitives Laufenlassen von Linien. Dann setze ich das zusammen, wie so Spinnenweben. Für mich sind es eher Gedankenlinien, die sich da zusammentun. Die können ganz klein sein. Ich habe aber auch schon ganze Räume damit gefüllt. Das kommt aus mir heraus und ist für mich auch nicht erklärbar, aber es ist für den Betrachter hinterher total interessant. Für mich ist es auch sehr interessant zu sehen, was mit dem Betrachter oder der Betrachterin passiert. Das ist spannend und oft auch sehr emotional, was mich am Anfang auch sehr überrascht hat, weil ich immer gedacht habe, dass das ja nur meine Emotionen und meine Gedanken sind, die wie Linien laufen. Es ist aber so, dass viele da irgendetwas finden, was sie anzieht und, dass sie in ihrer eigenen Phantasie etwas finden, wo sie Gedanken, Bilder und Erinnerungen einsetzen. Das finde ich spannend.
Gibt es einen Künstler oder eine Künstlerin, die du gerne mal treffen würdest?
Es gibt einen, aber der ist leider schon tot. Den hätte ich wirklich super gerne kennengelernt. Das war Umberto Giacometti. Er ist zwar sehr bekannt, aber ich finde, man kann jeden Gedanken, jeden Handgriff von ihm nachvollziehen in seinen Arbeiten. Das ist etwas, das hat mich schon ganz früh fasziniert. Mich faszinieren fast noch mehr die Zeichnungen und die Gemälde. Man steht davor und man denkt, man sieht ihn, man folgt quasi seinen Augen. Den hätte ich gerne mal kennengelernt. Wobei ich glaube, er war sehr verschroben und sehr eigen, aber ich hätte gerne einfach mal zugeguckt.
Gibt es auch einen lebenden Künstler, den du gerne mal kennenlernen würdest?
Ich habe letztens einen kennengelernt, bei dem ich nicht gedacht habe, dass ich ihn gerne mal kennenlernen würde, Tim Burton in Brühl. Aber ich habe Tim Burton ehrlich gesagt nie als Künstler wahrgenommen. Seine Zeichnungen und seine Gedanken dazu sind einfach faszinierend. Er hat über seine Ausstellung gesagt: „Jeder, der in die Ausstellung geht, der geht in mein Gehirn.“ Und das ist so! Weil er die Arbeiten eigentlich nicht macht, um sie zu zeigen, sondern weil er sie für sich macht. Ich glaube, das ist so ein Kern, den ich zumindest auch habe. Es ist natürlich klar, dass man sich freut, wenn jemand sagt, dass er deine Kunst super findet und sie mit in die Galerie nimmt. Aber der erste Ansatz, das finde ich immer total wichtig, muss für einen selber sein. Ansonsten klappt es auch nicht, funktioniert es auch nicht, ist es nicht authentisch. Die Zeichnungen von Tim Burton waren superschräg. Man hat gesehen, mit welcher Leidenschaft er das macht und, dass es ein Kommunikationsmittel für ihn ist. Es ist auch für mich eine Art der Kommunikation, deswegen vielleicht oft auch nicht erklärbar. Man macht es einfach.
Du bietest auch Workshops an. Wie bist du dazu gekommen? Was begeistert dich daran?
Ich bin zu diesen Workshops gekommen, weil ich eben auch nebenbei noch ein bisschen Geld verdienen muss. Ich habe dann gemerkt, dass die Art und Weise, wie ich die Workshops mache, den Leuten etwas bringt. Das ist anscheinend eine Art und Weise, mit der jeder etwas anfangen kann und etwas mit nach Hause nimmt. Mich fasziniert das. Die Leute kommen in die Workshops, es sind zum größten Teil Zeichenworkshops, und man merkt, dass die Leute vor dem Zeichnen den meisten Respekt und die größte Angst haben. Und wenn ich dann merke, dass ich diese Angst schon nach fünf Minuten durch ganz banale Sachen aufgelöst habe, dann macht mir das total Spaß.
Kannst du dir vorstellen mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten?
Ich mache das schon, hin und wieder. Aber ich bin ehrlich gesagt nicht sonderlich gut da drin. Es ist nicht so, dass ich das nicht gut finde. Ich könnte mir zum Beispiel nicht gut vorstellen eine Ateliergemeinschaft zu haben. Dazu habe ich einfach zu sehr meinen eigenen Rhythmus und muss sagen: Ich brauche ab und zu auch einfach meine Ruhe. Ich tausche mich super gerne aus. Ich liebe es, Netzwerke zu bilden mit den Künstlern. Das macht mich total glücklich. Aber wenn es um meine eigene Arbeit geht, dann bin ich manchmal gerne für mich. Ich hatte das einmal bei einem Arbeitsstipendium von der Cranach-Stiftung. Da war ich vier Wochen in Wittenberg, ganz alleine vier Wochen in einem alten Cranach-Atelier. Das war für mich der Himmel auf Erden. Das war ganz abgeschlossen. Wenn die ganzen Touristen raus waren aus diesen Cranach-Höfen, war keiner mehr da, außer mir. Ich habe da alleine gewohnt. Im Atelier konnte ich bis nachts um 2, 3 Uhr zeichnen und hatte niemanden um mich herum. Morgens um sieben ging dann die Hölle wieder los, weil die ganzen Touristen kamen, aber ich habe das total genossen und habe da so viel gemacht und so viel auch über mich selber erfahren. Das ist schon eine sehr spezielle Erfahrung. Deswegen bin ich, glaube ich, auch viel lieber unterwegs und zeichne viel. Ich habe zwar ein Atelier und versuche immer das einzurichten, aber ich kann da nicht so lange bleiben, weil ich immer wieder raus muss. Der Austausch ist schon gut und auch total wichtig. Auf Dauer könnte ich mir so ein Atelierhaus aber auch nicht vorstellen, das wäre nichts für mich.
Hast du ein künstlerisches Ziel?
Ich habe eigentlich kein Ziel. Das klingt ziemlich simpel, aber mein Ziel ist, dass ich das einfach immer weiter machen möchte. Das ist ein Wunsch, weil ich merke, wenn ich es nicht mache, geht es mir schlecht. Für mich ist jeder Anfang einer künstlerischen Arbeit immer wieder neu und ich denke immer. „Was passiert, wenn es an den Betrachter herangeht?“ Aber ein Ziel direkt habe ich nicht. Ich gucke einfach, was kommt.
Auf welchem Format arbeitest du am liebsten?
Ich habe ein Lieblingsformat, nämlich das, was ich zufällig finde. Ich habe es unheimlich gerne, wenn mir Formate in die Hand fallen, die ich jetzt so nicht ausgewählt hätte. Für die Zeichnungen mag ich sehr gerne Panoramaformate, weil das auch einfach läuft. Das ist mehr ein Schlängeln von den Linien, egal ob Hoch- oder Querformat. Was ich aber auch gut finde, ist eben das Suchen. Das sind manchmal auch einfach Papierreste, die irgendwo übrig geblieben sind. Die faszinieren mich dann auch aufgrund des Formats. Ich mag einfach unheimlich gerne Bücher. Ich nehme meine Bücher immer mit. Das sind quasi ganze Projekte in Büchern. Die sind natürlich schwer auszustellen, die gehören aber zu jedem Projekt dazu. Das ist wie ein Raum, den ich gestalte. Und diesen Raum fülle ich immer mehr.
Unter dem Titel “Bonner Loch” sammelst du teils unvollständig gezeichnete Menschen mit Gepäck. Wie ist die Reihe entstanden?
Dieses „Bonner Loch“ war total spannend, muss ich sagen. Das war eine interessante Geschichte. Ich wurde mal angeschrieben von der Firma Derix. Diese Firma macht Glasfenster, sind irgendwie auch eine päpstliche Glasbläserei oder so etwas. Die Leiterin hat mich angeschrieben. Die haben eine Galerie in ihrem Werk, das ist eine unheimlich spannende Geschichte. Die haben wie so Schuhkartons aneinander eine Werkstatt neben der anderen. Sie hat mich dann eingeführt in die Glasmalerei und alles, was es so gibt. Die haben eine Galerie, wo sie Künstler immer wieder einladen Entwürfe zu machen, die sie dann in Glas umsetzen. Um einmal zu zeigen, was möglich ist und dann eben auch, um Ideen zu finden und eventuell später weiter miteinander zu arbeiten. Wir haben uns lange unterhalten und sie hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, das zu machen. Ich habe das Bonner Loch vorgeschlagen, also so eine Art Tunnelsystem, eine Fußgängerunterführung, wo Licht eher keine Rolle spielt. Dafür einen Entwurf zu machen, konnte ich mir gut vorstellen. Das habe ich dann auch gemacht und bin erstmal drei Tage zum Skizzieren ins Bonner Loch. Dieses Bonner Loch ist die Unterführung zwischen der City Bonn zum Bahnhof. Das ist schon seit Jahrzehnten ein ganz schwieriger Punkt, ein Drogenumschlagpunkt, ist halt einfach so eine ganz andere Welt. Da sind ganz viele Obdachlose, schon ein Brennpunkt, den die Stadt geschaffen hat und sie versuchen das nun irgendwie zu ändern, indem sie die ganzen Leute in Ghettos nach außen platzieren. Das funktioniert natürlich nicht. Ich hab mich dann mal rein getraut. Da geht sonst niemand länger als die zwei Minuten bis zum Bahnsteig durch, weil es wirklich eine eigene Welt ist. Ich habe außen angefangen und bin dann immer weiter rein. Irgendwann hat mich das so fasziniert, weil du wirklich merkst, dass da eine eigene Welt ist mit einer eigenen Ordnung. Die Menschen dort leben einen eigenen Alltag, wie ein Theaterstück, sind da den ganzen Tag, unterhalten sich die ganze Zeit. Das ist ein ganz eigener Kosmos. Dabei habe ich auch gemerkt, dass es denen total egal ist, ob ich da bin oder nicht. Dann habe ich eben ganz viel gezeichnet. Zuhause habe ich dann daran weiter gearbeitet, mit Farbe bestückt und im Hintergrund ist noch eine ganze Serie von abstrakten Zeichnungen entstanden. Die habe ich aber noch nicht nach draußen gegeben.