Arsentij, du bist in Russland geboren. Wie bist du nach Deutschland gekommen?
Ich wurde mitgenommen. Ich war damals 16, ich wurde nicht großartig gefragt. „Wir fahren morgen nach Deutschland“ - „Okay Mama“, und dann war ich hier. Und das war ‘99.
Bist du gleich nach Osnabrück gekommen - und wie hast du die ersten Jahre erlebt?
Ja, wir sind tatsächlich sofort nach Osnabrück gekommen und ich fand das großartig, denn ich komme aus St. Petersburg und die Stadt ist relativ jung. Sie wurde 1703 gegründet und die meisten Gebäude dort sind entweder klassizistische Gebäude oder Spätbarock, und dann kam ich nach Deutschland und dann hab ich die ganzen Kirchen gesehen: Romanik oder Gotik, und das kannte man irgendwie aus dem Fernsehen und aus dem Roman und rein vom Optischen her fand ich das beeindruckend. Deutsch hab ich nicht gesprochen, ich konnte gerade sagen, „Ich heiße Arsentij, wo ist hier die Toilette?“, deswegen kann ich von irgendwelchen Bekanntschaften aus diesen Jahren nicht berichten. Es waren vor allem visuelle Erlebnisse.
Hast du den Künstler in dir aus Russland mitgenommen oder hast du ihn hier entwickelt?
Als ich noch in St. Petersburg lebte, besuchte ich eine Kunstschule. Das akademische System in Russland ist ein bisschen anders aufgebaut: Wenn man an der Kunstakademie in St. Petersburg studieren wollte, war fast zwangsläufig erst mal eine Kunstschule zu absolvieren, zusätzlich zu einer ganz normalen Schule. Und ich fing damit an, habe dann eine Zeit lang gar nichts gemacht, und als ich nach Deutschland ausgewandert bin, habe ich sofort einen Moskauer Grafiker kennengelernt, der mir Privatunterricht gegeben hat und bei dem ich sehr viel im grafischen Bereich gearbeitet habe.
Bevorzugst du derzeit die Arbeit an Lithografien oder an Ölgemälden?
Ich habe das immer phasenweise. Im Sommer mache ich sehr viel Grafik und im Winter male ich ziemlich viel. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass man im Winter Farbenfrohes mehr mag, weil im Winter alles grau ist. Obwohl, in dieser Stadt ist immer alles grau. Und es ist so, dass man die Erkenntnisse aus dem grafischen Bereich dann auf die Malerei projizieren kann. Ich kann wirklich nicht sagen, was ich lieber mache.
Wie hat sich denn deine Kunst entwickelt, seit du angefangen hast?
Es ist kompliziert. Ich glaube, ich bin im bestimmten Sinn naturalistischer geworden. Als ich gerade angefangen hatte, zu arbeiten – vielleicht hat es tatsächlich auch etwas mit meinem Umzug nach Deutschland zu tun – konnte ich mich sehr stark für die deutschen Expressionisten begeistern. Die Formsprache fand ich unglaublich interessant. Und nach und nach habe ich mich immer mehr für die alten Meister interessiert, für die Renaissancekünstler, für die barocken Künstler, und dann habe ich immer versucht, die frühen Erkenntnisse aus dem expressionistischen Bereich, die visuellen mit den analytischen Erkenntnissen zu vereinen. Und wie gesagt, ich bin deswegen einerseits naturalistischer geworden, aber bestimmte abstrakte Versatzstücke, die aus dem expressionistischen Bereich kommen, sind auch dageblieben.
Täuscht der Eindruck, dass deine Kunst mit der Zeit lebendiger und farbenfroher geworden ist?
Das weiß ich nicht. Wenn du das sagst – ich glaube schon. Ich denke darüber nicht so richtig nach. Es ist ja auch nicht so, dass man sich die eigenen Bilder so oft anguckt. Bei mir ist das so, ich arbeite an einem Bild, dann habe ich das fertig, dann kann ich das nicht mehr sehen. Nach einer Woche gucke ich mir die Arbeit noch mal an, ob ich sie immer noch gut finde, und entweder, ich vernichte sie, oder ich lasse sie stehen. Und meistens sehe ich meine Arbeiten dann zum dritten Mal erst, wenn ich sie ausstelle.
Wie viel Prozent deiner Arbeiten vernichtest du?
Das ist immer unterschiedlich. Ich habe das Gefühl, dass ich in der letzten Zeit anspruchsvoller geworden bin. Im Nachhinein ungefähr 30 Prozent. Im Prozess natürlich wesentlich mehr.
Du malst Menschen - beim Tanz, nachdenkliche Menschen, Menschengruppen oder Situationen mit Tieren. Ist der Eindruck richtig, dass deine Motive selten gut gelaunt sind?
Das fragen mich alle. Ich weiß es nicht, ich muss mit meinen Figuren noch mal reden. Ich bin mir nicht sicher, ich glaub nicht, dass die wirklich schlecht gelaunt sind. Die sind schon ein wenig melancholisch, das merk ich auch.
Woher kommt die Inspiration für diese Bilder?
Das ist eine lange Geschichte. Angefangen ist das Ganze ... Kennst du diese Geschichte: Du gehst in eine Kirche rein, siehst an der Wand eine Freskenmalerei, die zum Teil zerstört ist. Du siehst ein Schlachtfeld und irgendwo am Ende dieses Schlachtfeldes steht auf einmal ein Hirte. Und du weißt nicht, was der Hirte da macht. Und es gibt keine Überlieferungen mehr, denn das Bild hört da auf und eigentlich sollte es weitergehen. Man weiß überhaupt nicht, warum ist er da, ist er traurig, ist er in den Kampf verwickelt? Und das war der erste Ausgangspunkt, ich habe versucht, solche Figuren zu malen. Und vielleicht sehen sie deswegen auch manchmal so isoliert oder traurig aus, ich weiß nicht.
Und nach und nach habe ich mich davon distanziert und habe mich mit solchen bukolischen Szenen auseinandergesetzt, mit arkadischen Szenen, mit römischen vielleicht auch ein bisschen ... Was braucht ein Mensch zum Leben? Er braucht eine gute Arbeit, ein bisschen Natur und Sex. Dann ist er glücklich. Und genau das habe ich versucht, zu malen. Eben bukolische Szenen, mehr oder weniger.
Spielt Erfolg eine Rolle für dich? Was war bisher dein größter Erfolg mit deiner Kunst?
Kann ich dir nicht sagen, weil ich mir diese Frage überhaupt nicht stelle. Bertolt Brecht hat das supergut beschrieben, als er seinen Galilei geschrieben hat. Er meinte, Galilei hat nicht deswegen geforscht, weil er ein großartiger Wissenschaftler sein wollte, sondern Galilei hat geforscht, weil das so eine Art Krätze für ihn war. Es juckte [kratzt sich], und er musste forschen. Bei Kunst ist es dasselbe. Es geht nicht um Erfolg, es juckt, und du machst Kunst. Es geht nicht anders, es ist die Art und Weise, zu leben. Alles andere ist nicht wichtig.
Hast du künstlerische Vorbilder, menschliche Vorbilder, die deine Arbeit beeinflussen?
Ich bin eigentlich so ein – das darf man nicht laut sagen – ich bin so eine Art Allesfresser. Wenn wir von der großen Kunst sprechen. Ich meine nicht von jedem Künstler, der meint, dass er Kunst macht. Barock, Klassizismus, Rokoko, Impressionismus, es gibt in jeder Epoche großartige Leute, die irgendetwas gemacht haben, das ich toll und schön finde und das mich mehr oder weniger beeinflusst. Es sind immer Kleinigkeiten.
Zum Beispiel der „Auszug der Jenaer Studenten“ von Hodler. Ich konnte das Bild nicht leiden, dieses Riesenbild. Und irgendwann in Hamburg habe ich eine kleine Ausstellung gesehen, es gab eine kleine Skizze zu diesem Bild, und die war etwas anders als die Endvariante. Es gab nur einen kleinen Soldaten, so eine Frau hat ihn sozusagen verabschiedet. Ich fand das total rührend, ich hab fast geheult, als ich mir das angeschaut hab. Kann man da sagen, dass dieser Künstler mich beeinflusst hat? Ich weiß nicht. Es sind immer Kleinigkeiten, und die kann man fast bei jedem Künstler finden.
Jetzt kommt die große Frage: Was bedeutet dir die Kunst, was ist Kunst für dich?
Ja, das ist so eine Art Krätze, wie gesagt. Ich weiß es nicht. Was ist Kunst? Was für eine Frage, was ist Kunst. Wofür ist die Kunst gut? Für nichts. Die Kunst macht gar keinen Sinn. Es ist ein Luxusgut, aber man macht es, weil man nichts Besseres gefunden hat. Oder? Ich weiß nicht.
Könntest du dir etwas anderes vorstellen, das dich ähnlich ausfüllt?
Ich weiß nicht, ich hab ja nichts anderes ausprobiert. In meiner Familie gibt es viele Seemänner.
Dein letztes Malereiprojekt, „Das verträumte Land“, ist abgeschlossen - richtig?
Ich weiß es nicht. Mein erster Lehrer hat mir gesagt, ein Schriftsteller schreibt sein ganzes Leben einen Roman. Nur die Bücher heißen unterschiedlich.
Es gibt Bilder von dir, auf denen Frauen mit Lederhosen zu sehen sind. Hast du dort das Deutsche verarbeitet, das für dich fremd war?
Eigentlich hab ich da gar nichts verarbeitet. Du musst dir das folgendermaßen vorstellen: Ich habe irgendwann angefangen, Malerei und Lithografie zu kombinieren. Um eben dieses Freskohafte, was ich grad angesprochen habe, zum Vorschein zu bringen. Das kannst du sehr gut, wenn du farbig von einem Stein auf die Leinwand druckst. Und es war eine sehr pingelige Arbeit. Und irgendwann war ich beim Augenarzt und ich blätterte in so einer Zeitung und da hab ich Trachtenmode entdeckt und ich fand sie witzig, denn ich dachte, man kann sich gut freimalen. Ich meine, sie bietet dir viele Muster an und du kannst so einen Riesenpinsel nehmen und viel Farbe und richtig so eine Malsau spielen. Nachdem ich penibelst kleine Dinge ausgemalt habe, hat das mir gutgetan.
Und dann hab ich diese Bilder gemalt, ohne mir besonders viele Gedanken darüber zu machen und hab eine Ausstellung gemacht, ein paar Wochen vor dem Oktoberfest, und ich habe fast komplett die ganze Ausstellung ausverkauft. Es war noch nicht mal richtig ernst gemeint. Ich habe mich nicht darüber lustig gemacht, aber es gab auch keinen richtig tiefen Hintergrund, warum ich das gemacht habe.
Du hast schon ein bisschen etwas über die Technik erzählt. Hast du Lust, uns mal zu schildern, wie eigentlich deine Arbeit an den Drucken aussieht?
Du suchst erst mal einen Stein aus. Man zeichnet auf einem Stein, mit unterschiedlichen fetthaltigen Materialien, man kratzt rein zum Teil, wenn man den ganzen Stein chemisch präpariert hat, kann man von diesem Stein mehrere Abzüge machen. Als Erstes suchst du also einen Stein aus, die gibt es in unterschiedlichen Qualitäten. Bezeichnest diesen Stein. Ich überarbeite diesen Stein zum Teil zehnmal nacheinander. Ätze das immer wieder. Überarbeite das wieder. Schleife was ab, zeichne wieder was dazu. Und wenn der Stein fertig ist, dann macht man einen Probeabzug. Gegebenenfalls korrigiert man den Stein noch mal. Das ist manchmal so, weil man eben spiegelverkehrt druckt, dass der Druck dann spiegelverkehrt nicht so aussieht, wie man sich das vorgestellt hat, und wenn du mit dem Abzug zufrieden bist, dann kannst du die Auflage drucken.
Ist es so, dass du von deiner Kunst auch leben kannst – bei vielen Menschen ist es ja mal so, mal so – in welchem Prozess befindest du dich da gerade?
Man muss nicht unter seiner Kunst leiden. Ich habe von vornherein auf Lehramt studiert, wohl wissend, dass ich dann Kunst machen kann, falls ich meine Bilder nicht verkaufen kann. Es ist ja egal, wie gut du bist oder wie schlecht du bist. Du musst ja auch dich verkaufen können. Ich wusste, dass ich weiterhin meine Kunst machen kann und trotzdem Geld verdienen kann. Das war eine unglaublich pragmatische Entscheidung. Und im Nachhinein – ich kenne viele Leute, die mit mir zusammen studiert haben, die das eben nicht machen wollten und jetzt nicht wesentlich mehr Zeit für ihre Kunst haben, weil sie sonst was machen müssen, um Geld zu verdienen. So viel zum Thema Erfolg.
Was erwartet uns von dir im nächsten Jahr, was Ausstellungen angeht, aber auch deine künstlerische Schwerpunktsetzung?
Um die Ausstellungen in der nächsten Zeit kümmere ich mich überhaupt nicht, das ist sehr zeitintensiv. Künstlerische Projekte habe ich sehr viele. Was für mich in erster Linie jetzt dran ist – ich weiß nicht, ob das so spannend ist – ich wollte viele Farblithografien machen, Farblithografie ist unglaublich zeitintensiv, weil man für jede weitere Farbe einen neuen Stein braucht, und Farblithografie ist immer noch eine grafische Technik, du kannst aber auch sehr malerisch in dieser Technik arbeiten. Motivtechnisch wird sich da nicht großartig vieles ändern.