Was ist Kunst für dich?
Kreativität, Können, Vielfalt und Freiheit.
Du nennst dich Sherin. Was bedeutet der Name und wie kam es zu der Namenswahl?
2010 war ich auf einem Kryon-Festival und begegnete einer Spiritualität, die mir umgehend und intensiv zugänglich war. Dort erfuhr ich, dass jeder einen Ursprungsnamen hat. „Deine kosmischen Eltern haben in diesen Namen all das gelegt, was dich ausmacht: deine Fähigkeiten, deine Aufgabe und all deine Kraft.“ Dieser Satz ließ mich fragen, ob meine Einschätzung meiner Fähigkeiten, meiner Mission auf dieser Erde und meiner Kraft deckungsgleich mit den Gaben meiner kosmischer Eltern wäre. Ich ließ meinen Namen von Sabine Sangitar, Medium und Leiterin der Kryon-Schule, channeln. „Die Eigenschaften von Sherin sind Weisheit, Schönheit und Glanz ... Sherin ist das weise Wesen von der Venus ... Sie trägt die Attribute der Liebe zu schönen Dingen, Künsten ... und kann außerdem andere Menschen gut begleiten.“ Große Deckungsgleichheit.
Als meine derzeit 7-jährige Tochter mir sagte, sie würde sich von der Schule abmelden, wenn jemand erfahren würde, dass ich „ständig Titten zeichne“, musste ein Künstlername her.
Die Kunst und du: Wie habt ihr euch getroffen?
Getroffen ist das richtige Wort. Mit 16 besuchte ich eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Als ich vor dem Bild „Die ganze Stadt“ von Max Ernst stand, wusste ich, dass Kunst meine Berufung ist. Ich fühlte mich tatsächlich „getroffen“. Gezeichnet habe ich von Kindheit an. Aber das war der entscheidende Moment, der meinem Leben eine Richtung gegeben hat.
Wie hat sich deine Kunst seither entwickelt?
Meinen Einstieg in die Kunst fand ich in der Landschaftsmalerei. Die Entwicklung eines ganz eigenen Ausdrucks einer Natur-Impression war eine bereichernde Herausforderung. 15 Jahre später, 2010, habe ich mich vollständig einem Projekt gewidmet, nämlich eine Arbeit pro Tag zu malen oder zu zeichnen und diese im Internet zu veröffentlichen. Im Laufe dieser 365 Tage kehrte ich zu meiner wirklichen Leidenschaft zurück, dem figürlichen Zeichnen. Während die Landschaftsmalerei den Betrachter durch die Stimmung einfängt, hatte ich nun das Bedürfnis, Gedanken und Gefühle zu transportieren, die bisher keinen Raum in meiner künstlerischen Arbeit gefunden hatten.
Mit welcher Technik und mit welchen Materialien arbeitest du am liebsten?
Ich arbeite vorrangig mit Tusche. Ich liebe dieses tiefe Schwarz und die transparenten Farben. Die Konturen zeichne ich mit einem angespitzten Balsa-Holz. Der unregelmäßige Fluss der Farbe hinterlässt eine lebendige Linie und zwingt mich zum schnellen Zeichnen, was meinen Arbeiten ihre Leichtigkeit gibt. Es ist wie bei der chinesischen Tuschezeichnung. Das Material – Aquarellpapier, glattgestrichenes Papier, Leinwand in verschiedenen Qualitäten –, das Arbeiten mit einer Vielzahl von Strukturen macht das Zeichnen mit Balsa-Holz spannend, weil es sehr sensibel auf die Malgründe reagiert.
An welchem Ort malst du?
Ich habe einen Atelierraum in meinen privaten Wohnräumen. Eventzeichnen ist eines meiner Steckenpferde. Viele Arbeiten entstehen auf Veranstaltungen oder auf meinen Streifzügen.
Deine Malerei ist in besonderem Maße erotisch. Welches sind deine Inspirationsquellen?
Ich gehe auf erotische Motto-Partys. Eine reicht, um mich für Wochen zu beschäftigen. Einschlägige Fotobände und Filme sind eine andere Inspirationsquelle. Zurzeit bin ich verzaubert von der Welt des Burlesque. Welch eine Vielfalt an Weiblichkeit! Eine überwältigende Fülle an Charakteren und Geschichten, damit werde ich noch Jahre zu tun haben.
Wie kam es, dass SM und Burlesque ins Zentrum deines Schaffens gerückt sind?
Nach Jahrzehnten traf ich mich mit einem Bekannten meiner Studienzeit. Wir sprachen über Fetisch und Sinnlichkeit des Materials. Seide. Er begann über Seiden-Fetische zu reden und seine Erregung war spürbar, wenn nicht gar mitreißend. Wie kann ein Material ein derartiger Multiplikator von Lust und Begierde sein? Diese Begegnung hat mich zu SM geführt, hat mich forschen, entdecken und zeichnen lassen.
Burlesque habe ich das erste Mal bei Dr. Sketchy’s Anti Art School kennengelernt. Freies Zeichnen mit zwei Burlesque-Performerinnen als Modellen. Es war Liebe auf den ersten Blick.
Was fasziniert dich daran?
SM ist für mich der Reiz des Fremden. Und in hohem Maße visuell stimulierend. Hier kommt meine Affinität zur Mode ins Spiel. Kleidung als Mittel der Verführung. Accessoires und Inszenierungen. Besonders interessant sind Masken, die Anonymität und Eintauchen in eine andere Identität ermöglichen. Die psychologische Ebene dieser sexuellen Spielarten ist oft Ideengeber meiner Arbeiten.
Burlesque ist für mich Verführung pur in den unterschiedlichsten Facetten. Die Darbietungen zeigen ein ganzes Kaleidoskop von Frauentypen und präsentieren den weiblichen Körper auch außerhalb gängiger Klischees. Neo-Burlesque ist feministisch und eine Hommage an Lebensfreude, Vielfalt und Selbstliebe. Und an die Schönheit. Kunst bedeutet für mich Freiheit, und in diesem Geiste fühle ich mich mit der Burlesque-Szene sehr verbunden.
Wie wichtig ist Hamburg als Wohnort für dein Schaffen?
Hamburg hat den Erotik-Club Catonium und die Erotik-Boutique Bizarre, die in ganz Europa bekannt sind. Ich kann jeden Monat zu Dr. Sketchy’s Anti Art Club gehen und finde aufgeschlossene Menschen, die Sexualität als Teil ihrer Persönlichkeit leben. Hamburg ist liberal und eine Stadt mit viel kreativem Potenzial. Ja, Hamburg ist sehr wichtig. Allein die Historie der Reeperbahn als sündige Meile.
Was möchtest du mit deiner Kunst im Betrachter auslösen?
Neugierde. Mit der Unbefangenheit eines Kindes die Welt der Erotik und Sexualität zu erforschen. Die Freude am Spielerischen beleben. Sexualität als Teil seiner Persönlichkeit und einer Reise zu sich selbst zu begreifen. Ich möchte Begeisterung für den menschlichen Körper und die Sinnlichkeit entfachen und Ästhetik als Lebensqualität erkennen lassen.
Welches schwer zu erreichende Motiv würdest du gern einmal malen?
Ich würde den Balletttänzer Roberto Bolle gern zu einer Live-Drawing Session einladen.
Tauschst du dich gern mit Menschen über deine Bilder aus?
Jeder hat eine andere Wahrnehmung. Es bereichert meine eigene Sichtweise, zu hören, wie meine Arbeiten auf unterschiedliche Betrachter wirken. Meine Geschichten zu einigen meiner Bilder wiederum liegen weit ab von den Gedanken, die sie bei anderen Menschen auslösen, und erweitern hier den Horizont.
Wie könnte man deine Kunst furchtbar missverstehen?
Wenn meine Kunst als pornografisch bezeichnet werden würde, läge hier ein großes Missverständnis vor. Frauenfeindlich. Das wäre furchtbar daneben.
Erinnere dich bitte mal an das schönste Erlebnis mit deiner Kunst. Magst du davon erzählen?
Ende 2008 arbeitete ich an den Entwürfen für meine Version von „Madonna mit Kind“. 140 x 200 Zentimeter auf Leinwand. Ich würde eine ganze Zeit mit dieser Arbeit verbringen. Ich fange kaum mit einer vollständigen Bildidee an, sondern lasse die Arbeit wachsen. Die Madonna mit Kind war auf der Leinwand skizziert. Das fertige Bild jedoch ist eine Selbstdarstellung von mir und meiner Tochter. Ein Schmetterling mit ausgebreiteten Flügeln sitzt auf ihrer Hand. Dieses Werk ist eine Dokumentation meines Bedürfnisses, die Flügel auszuspannen, mein vollständiges Potenzial auszuleben. Kunst ist das Tor zum Unterbewussten.
Was machst du, wenn du nicht malst oder zeichnest?
Ich unterrichte an Kunstschulen und unterstütze Unternehmen als PR-Beraterin. Wertvolle Zeit verbringe ich mit meiner Tochter und Freunden. Lesen und Schreiben ist für mich das größte Vergnügen.