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Be part of the art

Husni Lagot

Künstler aus Hamburg, Deutschland

Husni Lagot gehörte Ende der Achtziger, Anfang der Neunzigerjahre zum Kern der Hamburger Graffiti-Szene. Seine Freunde, erzählt er, nannten ihn „King of Style, Genius oder Graffiti-Gott“. Heute schafft er Kunst mit allen möglichen Techniken, vom Ölbild über Stencils bis zu Plastiken. Die Kunst lässt ihn nicht los, sagt er. Er verbringt 23 Stunden am Tag mit ihr, „im Ernst.“

 
„Die Kunst verlangt alles von mir und will mich ganz oder gar nicht.“

Impressionen

 

Alle Fotografien von Asja Caspari, www.asjacaspari.com

Interview

Du warst einer der ersten Graffiti-Writer in Hamburg. Denkst du gern an die Zeit zurück?

Nein. Ich blicke nach vorn. Ich glaube an die Kraft des Hier und Jetzt. Das habe ich immer getan. So wird das auch bleiben. Was morgen geschieht, kannst du heute dahin lenken, aber nie wirklich ganz alleine bestimmen.

Wie war es damals, in den 80ern, als Sprayer in Hamburg?

Äußerst riskant, aufregend und manchmal auch ziemlich gefährlich. Wie gefährlich das wirklich war, wussten wir damals nicht richtig einzuschätzen. Wir hatten unsere tägliche Dosis Adrenalin, wie man so schön sagt. Das war für uns als Jugendliche natürlich toll, das mal erlebt zu haben, jedoch nicht immer angenehm. Meine Freunde und ich bewegten uns fast ständig in der Illegalität. Anonymität war unser Schutzpatron, der uns immer begleitete. Jede unserer Aktionen wurde genauestens von der Kripo untersucht und ausgewertet. Für einige bedeutete das schon mal, Bekanntschaft mit der deutschen Justiz zu machen, sprich Arrest zu bekommen, verhaftet und verhört zu werden. Nachts schliefen wir nicht. Die Bahnpolizei jedoch auch nicht. So beeilten wir uns und waren auf der Jagd nach der weißen Schlange, der unberührten unbemalten Bahn – der heilige Gral des Graffiti.

Du bist über Graffiti zur Kunst gekommen. Wie hat sich das entwickelt?

Graffiti war mein Türöffner, nicht der Auslöser zur Kunst. Zwei ältere Geschwister weckten den Zeichner und Maler in mir. Über Graffiti konnte ich meine künstlerische Motivation zum Ausdruck bringen und sie in die Welt tragen. Ich konnte mich mit meinen Writer-Freunden über die neuesten Entwicklungen der Hamburger Sprayer-Szene austauschen, mit ihnen kommunizieren. Ich war nicht mehr alleine mit meinen Ideen und Vorstellungen. Das befreite mich irgendwie. Das war toll. Als jugendlicher Graffiti-Sprüher der achtziger Jahre in Deutschland merktest du noch sehr diesen Zusammenhalt, die Sicherheit und das Vergnügen, das dir die Gruppe schenkt. Du vertrautest ihr und sie vertraute dir. Wir haben doch was gemeinsam, haben alle gedacht. Das machte uns unbändig stark und unbesiegbar.

Machst du auch noch Street Art, also Kunst auf Flächen draußen?

Gibt es freie Flächen, die ich bemalen kann, bin ich immer bereit, wenn es losgeht ... Ich liebe es, mit anderen zu sprühen. Gerade vor einigen Tagen rief mich ein Freund an und fragte, ob wir nicht mal wieder eine Wand in Angriff nehmen sollten.

Dein Markenzeichen und wiederkehrendes Element in deinen Bildern ist eine fliegende Pyramide. Wie kamst du auf das Motiv?

Die fliegende Pyramide markierte in meiner Jugend einen wichtigen und bedeutenden Wendepunkt in meinem Leben. Eines Tages begann ich wie so oft zu zeichnen und probierte neue Variationen von Graffiti aus. Nach einer Weile spürte ich, nicht mehr physisch anwesend zu sein, sondern eher geistig an einem anderen Ort, schwebend, in so eine Art Trance-Zustand versetzt. Als Nächstes sah ich, wohin Graffiti als neue junge Kunstrichtung sich weiterentwickeln könnte, und verfolgte diese Idee. Ich zeichnete eine fliegende Pyramide, die aus einem Gesicht kam und aus einem Rahmen herausflog. Blaues und weißes Licht folgte ihr. Plötzlich begann ich, dreidimensionale Graffiti zu zeichnen, die aber nicht, wie bis dahin gewöhnlich, nur aus einem Schattenblock bestanden, also Buchstabe und Schlagschatten, sondern weitaus komplexer und räumlicher. Die Buchstaben zeichnete ich ineinander verschachtelt, verdreht, verwoben, verschmolzen, sie griffen in- und übereinander, waren verzerrt und auf mehreren Ebenen gelagert, überschnitten und durchdrangen sich. All das passierte in wenigen Minuten und so schnell, dass ich Stunden brauchte, um zu verarbeiten, was geschehen war. Ich besaß keinen Computer. Das war vor der globalen Digitalisierung. Diese Art von Software-Programmen, die heute gern von vielen Usern für 3D-Graffiti angewandt werden, sollte erst viele Jahre später entwickelt werden.

Bitte erzähl mal, was diese Pyramide für dich bedeutet.

Die fliegende Pyramide ist das Herzstück meines künstlerischen Outputs aus meiner Jugend als Graffiti-Künstler. Der Höhepunkt. Die Inspiration. Meine Idee, auf die ich sehr stolz bin. In ihr spiegelt sich mein gesamtes junges Leben wider. Das autobiografisch, materiell transzendierte Erzeugnis meiner selbst. Ich bemerkte, dass im Leben nichts ewig währt. Das war für mich als jugendlicher Sprayer von 17 Jahren eine Zeit des Übergangs. Mich überkam Panik. Eine ungeheure Angst stieg in mir auf und versuchte sich festzukrallen. Es war diese seltene fiese Angst, bei der du weißt, wenn du nichts gegen sie tust, wird sie dich für immer einhüllen mit ihrem dämonischen Schwarz. Ich schrie so laut wie der Junge von Edvard Munch. Ich wollte fliehen, aber wohin? Ich wollte diesem Leben etwas entgegensetzen. Etwas Neues, Außergewöhnliches schaffen, was mich in meiner Zeit, in der ich lebe, reflektiert. Etwas, was dieses Leben überlebt.

Du nennst deinen Malstil 3D-Graffiti Stilismus oder 3D-Styleism. Was bedeutet das?

Nachdem ich genau ein Jahrzehnt, von 1981 bis 1991 aktiv Graffiti praktizierte und mich zum ultimativen Kern der Hamburger Graffiti-Elite hocharbeitete, wurde mir klar, dass ich erreicht hatte, was ich mir vorgenommen hatte. Ich repräsentierte mit einigen wenigen Freunden die Spitze des Graffiti-Olymps hier in Hamburg. Nicht ich selbst, sondern meine damaligen Graffiti-Freunde gaben mir diese Titel, wie King of Style, Genius, Graffiti-Architekt, visionär oder Graffiti-Gott. Für mich stand bis dahin fest, dass Graffiti formal sowie technisch gesehen im Zenit seiner Entwicklung stand und sich stilistisch gesehen in Bezug auf Stylewriting, also seinen Namen zu schreiben, nicht wirklich etwas Neues auftat. Genau an dieser Stelle setzte ich alle meine Erfahrungen und all mein Talent ein und brach mit zahlreichen Tabus/Normen und alten Konventionen. Ich stieß gleich mehrere unbekannte Türen auf, von denen 1987 keiner was wusste. Dieser 3D-Stil beschreibt klar und eindeutig meine Graffiti-Zeichentechnik. Ich gab ihr – dieser Zeichentechnik – einen Namen: 3D Styleism. Sie trifft ebenfalls auf meine abstrakten Bilder zu.

Was zeichnet den Stil aus in Abgrenzung zu anderen Street-Art-Stilen?

Der 3D-Styleism ist im Großem und Ganzen erst einmal als abstrakte Sprühkunst zu verstehen. Formell ist auch vorrangig die Sprühdose als Werkzeug einzusetzen, nicht der gängige Pinsel. Der Graffiti-Kontext im Sinne der Sprühweise/Technik ist Voraussetzung. Bei dem 3D-Stilismus oder 3D-Styleism tanzt und bewegt sich die Farbe sowie auch die Form und Linie in einer eigens entwickelten Technik, die sehr schwer umzusetzen ist. Es braucht einige Jahre intensiver Sprüh- Erfahrung, um sich mit ihr vertraut zu machen. Die vielleicht eindringlichste Innovation oder das markanteste Merkmal dieses 3D-Graffiti-Kunststiles ist seine universale räumliche Tiefe.

Tauschst du dich mit anderen Street Artists aus?

Gelegentlich, jedoch eher selten. Ich habe mit Graffiti schon vor sehr langer Zeit aufgehört. Ich wollte was Neues machen. Heute ist man als „KreaNerdy“ doch recht ausgelastet. Zur jetzigen Zeit ist das gerade bei mir der Fall. Doch bei Ausstellungen, auf Messen, Festivals oder Events kann ein Austausch stattfinden, worauf ich mich auch immer sehr freue. Ich denke immer: Wir alle könnten sehr viel voneinander lernen. Es kann sogar etwas wirklich Wunderbares daraus entstehen, wenn man bereit dazu ist, sich mal locker macht. Aber von Arroganz halte ich rein gar nichts.

Wie inspiriert dich deine Stadt Hamburg künstlerisch?

Hamburg ist ständig und allgegenwärtig in meinem Unterbewusstsein präsent. Hamburg ist meine Heimat und mein Hafen. In Hamburg bin ich geboren und aufgewachsen. Meine Eltern zogen damals Mitte der siebziger Jahre in die Hamburger Neustadt am Großneumarkt. Gegenüber auf der anderen Straßenseite befindet sich wohl das bekannteste Bauwerk der Hansestadt, das Wahrzeichen von Hamburg: die Hauptkirche St. Michaelis. Heute, von meiner Wohnung aus und sogar von meinem Atelier aus, blicke ich direkt auf den wunderschönen Michaelis-Turm. Viele großartige und aufregende Abenteuer erlebte ich dort und überall hier in Hamburg zusammen mit meinen Freunden. Es gibt hier fantastische Orte und Plätze, wo man durchatmen kann und seine Seele wieder frei bekommt. Fast überall spürt man diese Leichtigkeit und heitere Frische, die diese Stadt verströmt. Im Sommer sowie im Winter gleich – cool. Einfach atemspendend!

Wie viel Zeit verbringst du mit der Kunst?

24 Stunden am Tag. Nein, im Ernst. 23. Okay, zu viel, meint meine Frau. Sie hat recht. Ich kann nicht genug bekommen. Ich kann nicht leben ohne die Kunst. Ich bekomme manchmal Fieber, wenn ich nicht arbeite. Sie verlangt alles von mir und will mich ganz oder gar nicht. Doch bin ich bei ihr, lässt sie mich nicht mehr los. Es ist grausam. Es schmerzt sogar manchmal. Aber wie soll ich anders handeln, es anders tun? Ich habe alles ausprobiert. Nichts hilft.

Welche Umgebung schaffst du dir, damit du gut arbeiten kannst?

Meistens ist die Umgebung bei mir kein Kriterium, damit ich vernünftig oder gut arbeiten kann. Früher habe ich viel Musik während meiner Arbeit gehört. Das tue ich heute aber weniger. Ich suche da eher die Stille, das Einswerden mit mir. Ich konzentriere mich mit aller Macht auf den Moment. Das reicht mir allemal, dann bin ich happy. Warm werden ist bei mir nicht. Ich habe auch keine Zeit dafür. Bei mir geht es um Produktivität und Effizienz. Das klingt vielleicht jetzt kalt und herzlos, ist aber von praktisch konstruktiver Natur.

Was gibt dir die Kunst persönlich?

Wenn ich in meinem Studio an einer Skulptur oder an einem Bild arbeite, bringt mir das unheimlich viel Spaß. Das kreative Arbeiten entspannt und beruhigt mich innerlich und äußerlich. Ich fühle mich dann wirklich frei, lebendig und sorglos von allen alltäglichen oder belastenden Sachen, die einen manchmal am Tage heimgesucht haben. Die Kunst ist da ein gern gesehener Freund, eine Welt für sich, durch die ich mich ausdrücken und zu mir zurückfinden kann. Sie hat heilende Kraft und ist lebenswichtig für mich geworden.

Was machst du, wenn du keine Kunst machst?

Dann verbringe ich meine Zeit am liebsten mit meiner Frau und meinen beiden Mädchen. Die große ist zehn, die kleinere ist fünf Jahre jung. Bekomme ich das zeitlich gebacken, unternehme ich viel mit ihnen und tue alles, damit sie glücklich sind. Sind sie es, bin ich es auch. Nicht immer läuft alles rund, aber wo tut es das schon.

Hast du Pläne für deine künstlerische Zukunft?

Oh ja! Da ist noch einiges. Doch werde ich sie jetzt nicht nennen. Ich habe mir vorgenommen, über zukünftige Pläne nicht mehr zu sprechen. Ich mache sie, dann spreche ich vielleicht darüber. Bis dahin ist Zeit, und die Zukunft ist jetzt.

Wenn du dir aussuchen kannst, wer deine Kunstwerke kauft, was sollte das für ein Mensch sein?

Du brauchst nicht reich zu sein, um etwas von mir zu haben. Die wirklich schönsten und kostbarsten Sachen auf unserem Planeten sind nicht mit allem Gold und allen Perlen der Erde aufzuwiegen. Richtig ist auch, dass Kunst nicht für jeden erschwinglich ist. Deswegen weißt du auch, dass du mit einem/deinem Kunstwerk von mir ein außergewöhnliches und extravagantes Kunstobjekt besitzt. Eine wahre Geschichte von einem Menschen aus deiner/unserer Zeit, aus dessen Herz manchmal eine strahlende Pyramide herausfliegt. Ein Werk aus Feuer, Kraft und Magie geboren, das einen Weg zu dir fand. Das kann sich eben nicht jeder leisten.

Eine Welt ohne Kunst wäre...?

... ein Albtraum! Das soll mich niemals wieder jemand fragen.

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